Üba olle Gipfen iss stad: Gedanken zur bairischen Mundartlyrik / In: Czoik, Kellner, Schley (Hg.): Das Blaue vom Himmel – Literaturgeschichten aus Bayern / Allitera Verlag, 2020

I - Unter uns

Als ich in der achten Klasse war, kam der Mundartlyriker Harald Grill zu uns ins Burkhart-Gymnasium nach Mallersdorf. Ein Vierteljahrhundert ist das jetzt her. Wir, in der dunklen Aula sitzend, waren schon allein deshalb mit dem Mann zufrieden, weil dank ihm ein, zwei Unterrichtsstunden ausfielen, aber das war nicht der einzige Grund, warum wir nachher, als die Lesung aus war, so lange geklatscht haben.

Ich weiß noch, dass ich ziemlich überrascht war, wie ungestelzt er daher kam, wo er doch ein Dichter war. Er setzte sich hin und las, was er aufgeschrieben hatte, und zwar auf bayerisch, und ich dachte: aha, einfach so.

Was ich nicht dachte: so einfach. Dass ich das nicht dachte, war eher untypisch für mich, denn man muss wissen, dass wir Mittelstufler gerade einen Kunstgriff entdeckt hatten, mit dem wir einander demonstrierten, dass man uns nichts weis machen könne, uns nicht! Dieser Kunstgriff ging so: Man stellt sich, etwa wenn uns der Wandertag in ein Museum verschlagen hatte, breitbeinig vor ein modernes Kunstwerk, sagen wir einmal nur als Beispiel: von Mark Rothko, und reißt dem Meister mit folgendem Killersatz die Blendermaske vom Gesicht: „Des kannt i aa.“

Bei Harald Grill sagte das seltsamerweise keiner, obwohl er doch in einfachen bayerischen Sätzen redete, in Sätzen, die klangen wie unsere.

Ich hatte nach der Lesung den Verdacht, dass uns mit unserer Checker-vom-Dienst-Attitüde möglicherweise etwas durch die Lappen gehen könnte. Ebenso wie mit ihrem Gegenteil, einem elitären, vertikalen Kunstverständnis. An die Texte, die Grill damals gelesen hat, kann ich mich heute nicht mehr erinnern, aber an die Haltung gegenüber Kunst, die er mir nahe brachte, ohne sie zu verbalisieren: dass Kunst nicht im Pantheon entsteht, sondern hier, unter uns. Und dass sie zwar etwas Besonderes ist (wir saßen andächtig in der abgedunkelten Aula und schauten auf die erleuchtete Bühne, das schon), aber eben auch nichts Besonderes. Dass Grills Kunst nicht durch Überhöhung, sondern Verdichtung entsteht. Danke, lieber Herr Grill.

Didaktisch gesehen verdient Mundartylik also die Note Eins mit Stern. Und generell, wie ist es um die literarische Qualität bestellt? Jetzt, 25 Jahre, ein Studium und 15 Jahre als journalistischer Sprach-Praktiker später, habe ich mich in ein paar Bände mit und über bairische Mundartlyrik vertieft. Schreiben Sie auf, was Ihnen auffällt, so ähnlich lautete der Auftrag. Solcherlei Ergebnisoffenheit ist selten, denn oft soll man ja nicht aufschreiben, was einem als Autor, sondern was dem Auftraggeber einfällt, also habe ich gerne zugesagt. Herausgekommen ist ein, wie ich hoffe, thesenarmer, biografisch inspirierter Essay über das Bairische mit Schwerpunkt auf Lyrik. Der Versuchung, gscheidzuhaferln, habe ich schon allein deshalb versucht zu widerstehen, weil Gscheidhaflerei den von mir gelesenen Texten zutiefst fremd ist, und das ist nicht ihr geringster Vorzug.

II - Des san mia

 

Die Anthologie „Vastehst me - Bairische Gedichte aus 40 Jahren“ von 2014 bietet eine aufschlussreiche Zusammenschau, in der die inhaltlichen und ästhetischen Schwerpunkte deutlich werden, die Mundartlyriker aus dem bairischen Sprachraum setzen, vom Oberpfälzischen über das Niederbairische zum Münchnerischen. Die Herausgeber nennen es die „süddeutsche Hochsprache“. Darin liegt nicht nur eine Beschreibung, sondern auch ein Anspruch: Diese Lyrik proklamiert Eigenständigkeit und soll neben der hochdeutschen bestehen können, und mir scheint, dass das an vielen Stellen gelingt. Das gilt auch für viele ältere Gedichte, gesammelt in Friedl Brehms Anthologie „Sagst wasd magst“ von 1975.

Beginnen wir mit der Selbstverortung der Autoren. Es gibt ein programmatisches Gedicht von Bernhard Setzwein, in dem er erklärt, wie man mit Lyrik am besten umgeht, nämlich pragmatisch. Es heißt: „Gedichte muaßd trocknan wiad Schwammerl“ (Bauernfeind et al., S. 184).

A jedz muaßd onzln da oschaugn
obs ned scho inwenidig wurmstiche
oda dafeid is
mßdz sauwa putzn aufschnein und herlegn

Nacha laßdas liegn lang liegn
bises zsammziagd zu am Huuzl

Awa do is nacha a Gschmacke drin
mei Liawa

Setzwein folgt gedanklich Bertolt Brecht, der in seinem Text „Über das Zerpflücken von Gedichten“ schrieb, „dass nicht einmal Blumen verwelken, wenn man in sie hineinsticht … Wer das Gedicht für unnahbar hält, kommt ihm wirklich nicht nahe. In der Anwendung von Kriterien liegt ein Hauptteil des Genusses. Zerpflücke eine Rose und jedes Blatt ist schön."

Brecht und Setzwein plädieren für einen unverkrampften Umgang mit Lyrik, doch wo Brecht noch zarte Rosen anführt, sind es bei Setzwein Schwammerl: nicht auf Humus gezüchtet, sondern auf feuchtem Waldboden gewachsen, nicht lieblich, sondern mal gschmackig, mal fad und manchmal giftig. Ich mag die handfeste Poetik, mit der der Autor auf Gedichte schaut wie auf Gebrauchsgegenstände: Taugen sie was, und wenn ja, wozu? Das Allesalskunstgeltenlassen lässt Setzwein jedenfalls nicht gelten.

Mir scheint, dass viele Mundartautoren ihren Brecht gut kennen. Zum Beispiel Elisabeth Dorner-Wenzliks „Grenzwertexpertn“ (ebd., S. 39):

ja, herrschaftsseitn,
mir habn s doch berechnet,
daß des giftige Zeug dao,
verteilt in da Luft,
von dera Zal abwärts,
ix ausmache derfat,

ja, herrschaftsseitn,
äitz wird ma doch
erwartn derfa,
daß sie aa a weng mitspielt,
d Natur!

Die Idee folgt Brechts Gedicht „Die Lösung“, geschrieben nach dem Arbeiteraufstand in der DDR, in dem gefragt wird: „… Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?“

Insgesamt überrascht mich die Fülle an Bezugnahmen auf große Vorbilder. Eugen Oker etwa schreibt in „an Goethe“ (ebd., S. 161):

iwa de bam iss scho schdaad
koi liffdal waad
drinnad en wold b feechala schlouffa
fo driwahal hea
lus nea
dou woadd aaf di wea
heasd wäis de rouffa

Derber noch macht sich Franz Ringseis seinen Reim in „Wanderers Nachtlied“ (Brehm, S. 120):

Üba olle Gipfen
iss stad.
In olle Wipfen
waht
nur a Lüftal, so weich –

Koa Vogal rührt si im Woid.
Wart nur, boid
bist aar a Leich.

Im Vergleich dazu Goethes Vorbild:

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Das Beispiel zeigt, in welcher Reihe sich die Mundartlyriker sehen. Zurecht, denn auch der Hesse Goethe war ja ein großer Mundartdichter, anders lassen sich manche Reime etwa im Urfaust nicht erklären: “Ach, neige, neige / Du Strahlenreiche …“. Schön, wie selbstverständlich und vor allem wie eigenständig sich die Bayern daneben stellen. So wie Alfons Schweiggert. Ihm ist „am grob vom karl valentin“ keineswegs schenkelklopferisch, vielmehr expressionistisch-existenzialistisch zumute, wenn er Valentins Lebensverzweiflung nachspürt (Bauernfeind et al., S. 153):

es is jetz zeit
für koide händ
a dunkla liachtfleck
zittat am eisngitter
vom grobstoa
abbröcklt d’angst
a fetzn sonn loahnt si
ans ausbrennende grobliacht
unterm kies schnauft d’wuat
von da bluatbuacha foit
a lächeln, des grod gstorbn is
und
wia i geh,
stelln si mir fragn
in weg
i mach an bogn um sie

in friedhofsbrunna
kichan wassertropfn nei

III - Das Lyrische Ich beim Politisieren

Beim Lesen fällt mir auf, dass ich dazu neige, das Lyrische Ich mit dem Autor ins Eins zu setzen. Wie naiv von mir – Anfängerfehler, klar. Anderseits: Die Annahme, dass Dichter und Erzähl-Ich tatsächlich identisch sind, drängt sich mir bei vielen Mundartgedichten tatsächlich auf. Hier spricht jemand, der etwas zu sagen hat, und dieser jemand ist der Autor, so einfach scheint das zu sein. Der Duktus des Authentischen findet sich sehr viel häufiger in den Gedichten als das Spiel mit Perspektiven, Brechungen, Duktus-Wechseln oder Kontrastierungen. Vielleicht liegt hier auch ein Grund dafür, warum uns pubertierenden Schülern Harald Grill damals so gut gefallen hat: Da spricht einer, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, do redt oana vo de Echtn, da sitzt einer und kann nicht anders und mag auch gar nicht anders.

Doch wahrhaftiges Sprechen setzt bin unbedingt die Identität von Dichter und Lyrischem Ich voraus. Der Unterschied zwischen beiden eröffnet vielmehr neue Sprechmöglichkeiten, die aber, wie mir scheint, von nur wenigen Dichtern genutzt werden.

Manche Texte scheinen auf eine Pointe hin geschrieben, auf die Auflösung eines Rätsels hin, das zu verstehen Zweck und Ende ihrer Interpretation ist: Botschaft verstanden, danke, nächstes Gedicht. Das kann man so machen, warum auch nicht, Autor und Lyrisches Ich fallen in eins, Agitprop lässt grüßen. Aber Gedanken und Sprache bleiben doch an der Oberfläche, und es gibt, abgesehen vom Umbruch, wenig, was diese Gedichte von Prosa unterscheidet, etwa wenn Walter Kraus aus Angst vor dem Atomkrieg in „Traam anno Zwoatausnd“ (Brehm, 78) schreibt:

Mein Vatan hat da
Herzinfarkt
gleich scho
sauba voramt.

Und mih wern s
pulversisiern,
hat ma
neile traamt!

Doch dann gibt es Verse, die mir zunächst als wohlfeile Sozialkritik erscheinen: Man meint, sie schon beim ersten Lesen verstanden zu haben, und ist versucht, weiter zu blättern; tut man es nicht, bietet sich die Chance auf eine schöne Überraschung. Nehmen wir als Beispiel Albert Mühldorfers „Donauausbau“ (Bauernfeind et al., S. 44):

D Donau is z eng
ausbaua wolln s e s.

Aus da landschaft
oder was?

I konn s ma ned vorstöilln
bei dem gwicht und der läng.

Die Zeilen kommen ganz unspektakulär daher. Ihren Hintersinn entfalten sie, wenn der Leser der Grundidee folgt, nämlich das Wort „ausbauen“ beim Wort zu nehmen. In gespielter Naivität behauptet der Sprecher, er könne sich kaum vorstellen, die Donau herauszunehmen. Und siehe da, in gewisser Weise stimmt das durchaus auch im wörtlichen Sinne: Ziel ist es, die Donau zwischen Straubing und Vilshofen in ihrer halbwegs naturbelassenen Form heraus zu nehmen und dadurch zum Verschwinden zu bringen. So sagt der Narr die Wahrheit. Und schließt optimistisch, dass dieses Verschwinden wohl nicht gelänge.

Mir fällt der fortschrittsskeptische Grundton vieler Texte auf: Was verschwindet, wird beklagt, dem Neuen, Ungewissen wird mit Argwohn entgegengesehen. Manchmal gelingt es, das Kleine, Vertraute in Verbindung mit den großen Umwälzungen der Zeit zu bringen, sie neben- und gegeneinander zu stellen, in der großen, präzisen Lakonie, zu der sich das Bairische so wunderbar eignet. Etwa in Fritz Maiers „hiagst – ende der pflasterherstellung im bayerischen wald“ (Bauernfeind et al., S 33):

da wind hot se draaht

Äskolt
blost da bäihmisch
äitz durch de pflastahüttn

d’stoi
bringt a mit

as’m bäihm
as pol’n
as china

In dürren Worten ist hier das Ende von etwas beschrieben, was lange Zeit typisch und identitätsprägend für den Bayerischen Wald war, das granitene Mittelgebirge. Bei einheimischen Lesern dieses Gedichts mag noch die Sage mitschwingen, in der der Teufel, als er den Weg zur Hölle pflastern wollte, mit seinem Schubkarren über den Lusen raste; als ihm ein Eremit mutig ein Kreuz entgegen hielt, kippte der Teufel vor Schreck seine Steine über dem Lusengipfel aus – so entstand das berühmte Blockmeer zwischen Böhmen und Bayern. Maier lässt das nicht in der Dichtung anklingen; vielleicht rechnet er in seiner souveränen Art mit dem souveränen Leser. Und er hütet sich zugunsten seiner Lakonie vor einer Moral von der Geschicht; auch dass ein Stück regionaler Identität verloren geht, muss er nicht explizit formulieren, geschweige denn beklagen. Dadurch vermeidet er auch eine nachträgliche Verklärung des knüppelharten Handwerks, dem die Steinklopfer einst nachgingen. Die Frage nach gut oder schlecht stellt das Gedicht nicht, und das ist ein Grund, weshalb es ein gutes Gedicht ist, ein zeitloses und zeitgenössisches.

IV – Laut und Schrift

Das Verhältnis zur eigenen Mundart scheint mir heutzutage polarisiert zu sein: Viele Alte schämen sich für ihren Dialekt, die meisten Jungen verstehen ihn allenfalls, können ihn aber nicht mehr sprechen (und tragen kompensatorisch Lederhosen, eine Arbeitskluft, die abseits von Hof und Feld zu tragen sich die Altvorderen geschämt hätten). Diejenigen Jungen, die noch Bairisch sprechen, tragen ihr Bayernturm wie eine Monstranz vor sich her, beziehungsweise wie ein Brett vor dem Kopf. Vermutlich rührt aus dieser Beobachtung meine Sehnsucht nach der Zeit, als das Bairische noch selbstverständlich war. Ich gehöre womöglich mit zu den letzten, für die das noch galt. In den 80er und 90er Jahren war das, in Mallersdorf im Labertal, wo sich das niederbayerische Hügelland so gutmütig dahinwellt.

Wie alt ich war, als mir bewusst wurde, dass ich bayerisch rede, weiß ich nicht. Um mich herum sprachen fast alle so wie ich: Eltern, Brüder und Verwandte, die anderen Kinder von der Weiherleite, Schwester Corneliana vom Kindergarten, der Bauer Englbrecht, wo ich immer die Milch holte, der Metzger Ganser, wo es die gute Hirnwurst gab, und die Leute am Strand von Bibione, wo wir immer Urlaub machten.

Es war wohl eher so, dass mir bewusst war, dass andere nicht bayerisch reden. Zum Beispiel meine Freundin, die Frani. Frani stieß in der dritten Klasse zu uns und sprach lupenreines Hochdeutsch, und zwar in einer Geschwindigkeit, für die wir Dialektsprecher ein gesundes Misstrauen erübrigen: Warum red’t die so nervös? Und ein bisserl Neid: Denkt die auch so schnell wie sie spricht?

Zugunsten von Frani sprach erstens, dass ihre Mutter aus Bremen stammte, das machte sie gewissermaßen zu einem Opfer der Umstände. Zweitens war sie die Tochter vom Chefarzt, und wir Kinder wussten intuitiv, dass wichtige Leute Hochdeutsch sprechen, das war so eine Art Gesetz. Vielleicht kannten wir das „aus dem Fernseher“, wo ernste Leute mit einer Krawatte um den Hals ernste Dinge vom Papier ablasen. Drittens sprach für Frani die Tatsache, dass ihr Sprechen zwar schnell und hochdeutsch, aber durchaus nicht gschnappig war, sondern einfach gescheit. Und viertens natürlich ihr Liebreiz, ihr exotischer. Ganz baff war ich, als ich viel später herausgefunden habe, dass Frani durchaus des Bairischen mächtig ist. Auf meine Frage hin, warum sie es dann nicht spreche, antwortet sie: „Ja wei i s ned eisiehg.“

„D’Frani red’t nach der Schrift“, so hieß man das in Mallersdorf. Diesen Ausdruck finde ich herrlich, weil er in unbewusster Präzision das Grundproblem des Hochdeutschen beschreibt (und dass das Hochdeutsche, nicht das Bairische das Problem ist): dass man unnötigerweise so redet, wie man schreibt, und nicht umgekehrt; dass das Umständliche (die Schrift) vor dem Naheliegenden kommt (der Lautsprache), obwohl doch jeder weiß: Zuerst kam der Laut, dann die Schrift.

Wer diese naturgesetzliche Reihenfolge unnötigerweise durch Hochdeutschsprechen infrage stellt, indem er nach der Schrift redet, ist des „Geschwollen Daherredens“ verdächtig. Dieses „Gschwoine“, dem insbesondere die so genannten „Gschwoischädel“ frönen, äußert sich in einer Bereitschaft zum abstrakten Sprechen, die den Argwohn des Hörers hervorruft. Nicht, dass Mundartsprecher nicht auch zu Verallgemeinerungen neigen („Der Mensch is ned schlecht, aber d’Leit“) – doch ein Sprecher, dem man gerne zuhört und Glauben schenkt, muss sinnlich reden. Darin liegt eine große Stärke Bairischer Mundartlyrik, wie etwa Maria Magdalena Rabl in „Allerheiligen“ belegt: (Bauernfeind et al., S. 156)

Da Doud kimt wieda nächa
und Mitn Näwe kriacht a
d’Wadln houch
in d’Stiefe nei
und backt mi bei de Fiaß,
so dass i steh bleim muaß.
Bloß steh und schaugn,
wia ruaßig schwoaz er is.
Wia ruaßig schwoaz und
kloa…
Mir kimt’s:
A Negabebi is da Doud.

Dass die Mundart, wie der Name schon sagt, zuerst gesprochen wird, ist womöglich der Musikalität von Dialektsprechern zuträglich. Vielleicht rührt daher mein Eindruck, dass Mundartlyrik über besondere lautmalerische Qualität verfügt. Etwa Hans Prähofer, der in „schdosszeid“ den Stachussound trifft (Brehm, S. 110):


grod wurln duads
gscheggads blech schebbad und schdingd
auf da schdrassn
und schiabd se an dia vobei
gremmbed werds und gschdessn
es wurld grod so

Laut vor Schrift und Anschaulichkeit vor Abstraktion – damit sind meines Erachtens die beiden wichtigsten Stärke Bairischer Mundartlyrik benannt. Und hier noch ein dritter: das unbarmherzige, zarte Neben- und Ineinander des Feinen und Groben und, damit verbunden, das simpelstmögliche Erzählen komplexer Zusammenhänge. Zwei Beispiele. Das Blut in den Adern lässt mir Siegfried Völlger in „wose brauch“ gefrieren (Bauernfeind et al., S. 147):

wose brauch freind
des war a middl
i glaub i browias doch
amoi mid am doggda
des de gloana greana mandl
vodreibd
woasd scha de
de me owei zrugghoidnd
wene von balkon
oweschbringa mechd

Das lyrische Ich spricht einen Freund an. Er brauche etwas gegen die „gloana greana mandl“ – so weit, so gut. Nur dass sie es sind, die ihn vom Selbstmord abhalten. Das „middl“ soll ihn vor der Halluzination heilen und ihm so die Hemmungen vor dem Suizid nehmen. Was ist gesund, was ist krank? Der „doggda“ wird gebeten, gesund und tot zugleich zu machen, aber was ist seine Aufgabe, Heilung oder Weiterleben? Braucht das lyrische Ich die Halluzination zum Weiterleben, ist die Krankheit die einzige Lebensmöglichkeit für ihn, und wie steht er dazu? So einfach das Gesagte, so komplex das Gedachte.

Beim zweiten Beispiel, „Kimm“ von Karl Krieg, wünscht sich das Lyrische Ich Grobheiten von seiner Angebeteten (Bauernfeind et al., S. 103):

Kimm
hau me in d Ledschn undzoi ma a Bia
sunsd wia i narrisch
Gib ma a Bussl und schdreichld mein Goidzaan
sunsd kimm i um
Dua ma an Gfoin und schiaß me ins Knia
i bin hoid so kiddsle

Geh
schbea me in Kella mid fümbf Lidda Mosd
i hob de so gean
und i kann das ned song

Da will etwas heraus, doch es kann nicht, und deswegen muss etwas passieren, und zwar nichts Geringes, und zwar gleich. Taub und überlebendig, wie es sich fühlt, das Lyrische Ich, wünscht es sich Erlösung aus seiner Spannung, Befreiung durch einen Streichler, einen Schlag, einen Schuss oder Kuss. Wer da beim Lesen nicht hängen bleibt, um nachzufühlen, hat kein Herz.