Zeugen des Grauens / Vier Überlebende des Holocaust erzählen ihre Geschichte / Spiegel Geschichte, 2019

 

Jutta Ruhemann:

Das Leben in Theresienstadt war – wie soll ich sagen? – normal. Für eine Fünfjährige ist so gut wie alles normal. Was wirklich normal sein sollte, das konnte ich nicht wissen. Also zum Beispiel: Meine Eltern und ich schliefen in einer ehemaligen Schmiede in Stockbetten, insgesamt waren wir dort etwa 40 Leute. Einmal morgens, nach dem Aufstehen, sagte ich: »Papa, guck mal, der schläft ja immer noch, der Onkel da drüben.« – »Na, lass ihn doch«, sagte mein Vater, »der muss sich eben noch ein bisschen ausschlafen. Wenn wir später nach Hause kommen, ist er weg.« Ja, und so war das dann auch für mich: Der hat erst ausgeschlafen, und dann ist er weggegangen. Wo er hingegangen ist und dass er nicht mehr wiedergekommen ist, das hab ich nicht hinterfragt. Ich war ein Kind. Manchmal lagen auch Menschen auf der Straße oder auf dem Bürgersteig, an die Wand gelehnt: Kiek ma, die schlafen auch.

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